Illegal agierende Anbieter verschaffen sich Konkurrenzvorteile
Im deutschen Personenbeförderungsgewerbe wird in den letzten drei Jahren das Unterste nach oben gekehrt. Taxiunternehmen und ihre angestellten Fahrer werden von Anbietern wie UBER, freeNow und anderen Schritt für Schritt aus dem Geschäft verdrängt. Das geschieht nicht, weil die bestehenden Betriebe ihre Aufgaben nicht erfüllen. Sie können schlicht die Konkurrenznachteile gesetzeskonformen Handels nicht mehr durch Mehrarbeit ausgleichen.
Feindin der Wahrheit ist nicht die Lüge, sondern der Bullshit (Harry Frankfurt 1986)
Die neuen Anbieter haben Zugriff auf viel Geld und sie geben es mit vollen Händen aus. Sie wollen keine Kaufleute mehr sein, sondern Strategen. Das Ziel ihrer Geschäftskonzepte scheint nicht mehr das Geldverdienen, sondern das Erringen von Marktmacht. Für das operative Geschäft der Personenbeförderung werden Fahrer und Fahrzeuge benötigt. Diese beiden Risiken vermeiden diese Anbieter. Sie wollen ihr Geld als Makler verdienen. Ihre Einnahme ist die Provision, nicht der Fahrpreis, den Kunden für die Dienstleistung bezahlen. Aufwendigen Werbekampagnen versprechen den Kunden „saubere Fahrzeuge mit professionellen Fahrern“. Obwohl sie selber die Preise festsetzen, loben die Makler die „Preistransparenz“ ihrer Subunternehmer, weil vor Antritt der Fahrt der Fahrpreis feststeht. Weniger als fünf Prozent der Flotte werden elektrisch betrieben. Trotzdem preisen ihre Vertriebsabteilungen die neuen Angebote als wichtigen Teil der ökologischen Verkehrswende an. Das Wichtigste zum Schluss: Wenigstens auf dem Papier unterbieten die Angebote den Taxipreis. Es gibt unterschiedliche Grade der Ehrlichkeit. Redliche Anbieter geben den Leitsatz im Kundenkontakt zu. Es geht gar nicht um Qualität, Ökologie oder die Verkehrswende. Das Motto ist schlicht und lautet: Price beats Quality. Das wirkliche Verkaufsargument ist der Preis und nur der Preis.
Schuld oder Verantwortung
Gegenüber Politik und Journalisten bezeichne ich diese Niedrigpreisangebote gerne als Selbstanzeige. Kosten für Personal und Fahrzeug sind gleich. Grundkenntnisse der vier Grundrechenarten und des Prozentrechnens reichen aus um selber zu überprüfen, ob ein niedrigerer Kilometerpreis bei Mietwagen überhaupt möglich ist, wenn nicht 7 sondern 19 Prozent Umsatzsteuer bezahlt werden müssen und zudem die Makler eine Provision von 25 Prozent auf den Bruttofahrpreis einstreichen. Die Subunternehmer müssen sich vertraglich zu Gesetzestreue verpflichten. Die Makler wissen, dass diese Subunternehmer nicht überleben können, wenn sie sich an bestehende Gesetze halten. Wer hat nun Schuld an der bösen Tat? Sind es die Journalisten, die nicht nachrechnen, bevor sie einen Artikel schreiben? Sind es die dummen Subunternehmer, die Steuer-, sozial- und arbeitsrechtliche Vorschriften als bloße Empfehlungen betrachten? Sind es die Kontrollbehörden, die ihre Aufgaben nicht erfüllen? Oder sind die Schurken in unserem Stück die Makler, die von Geldgier getrieben die Fundamente des sozialen Rechtsstaates schleifen? Sicherlich lädt jeder dieser Akteure Schuld auf sich. Um zu verstehen, was vor sich geht, halte ich aber den Begriff der „Verantwortung“ für nützlicher. Jeder Handelnde kann gute Gründe für sein Tun angeben und ganz am Schluss des Gespräches wird er sich selbst als Getriebenen darstellen.
Ein Strom hat viele Zuflüsse
Einfaches und schnelles Denken war für unsere Vorfahren der Schlüssel zum Erfolg. Wer zu lange überlegte wurde schnell zur Beute. Ausserdem verbraucht Nachdenken viele Kalorien. Heute möchten wir gerne schlank sein. Noch vor wenigen Generationen waren diese Kalorien begehrte Mangelware. Aus diesem Grund denken wir nicht gerne nach und lieben einfache Erklärungen für komplexe Sachverhalte. Leider reicht es nicht mehr aus blitzschnell zu entscheiden, ob die Bewegung im Gras ein Löwe, oder ein Hase ist. Einfache Wenn –Dann Entscheidungen waren damals der Schlüssel zum Überleben. Heute führen uns diese einfachen Erklärungen häufig in die Irre. Es bringt uns allerdings auch nichts, wenn wir uns mit dem Satz zufriedengeben, dass alles irgendwie mit allem zusammenhängt.
Die Quelle des Ärgers
Obwohl durch das Preisdumping des Konzerns die Subunternehmer gnadenlos ausgebeutet werden, hat die Firma UBER in der ganzen Zeit ihres Bestehens nicht ein einziges Mal Geld verdient. Die Investoren würden ihr Geld nicht in so halbseidene Projekte stecken, wenn es andere gewinn- oder zinsbringende Investitionsmöglichkeiten gäbe. Die Nullzinspolitik und die „Gelddruckerei“ der amerikanischen FED und europäischen EZB erschaffen also „Superzombies“ wie die Firma UBER.
Die Agenten und Handlanger der Schwierigkeiten
Die Subunternehmer versprechen sich eine risikolose Möglichkeit Steuern und Sozialabgaben zu hinterziehen. Sie gehen davon aus, dass sie unter dem Schutz eines mächtigen Konzerns stehen, der die Beweise für ihr böses Tun nicht an die Kontrollbehörden herausgeben wird. Die Klügeren unter ihnen wissen, dass sie auf ehrliche Art kein Geld im operativen Geschäft verdienen können. Ihre „Rendite“ ist der Umsatzanteil, der eigentlich der Gesellschaft zusteht. Die Journalisten können wir in zwei Gruppen aufteilen. Dier Gruppe, die „payed content“ abliefert, müssen wir zwar identifizieren, brauchen wir uns aber nicht weiter mit ihnen befassen. Sie sind Mietfedern und intellektuelle Prostituierte. Es macht Mühe und kostet Arbeitszeit Informationen aufzubereiten. Diese Mühe könnte sich bei der zweiten Gruppe von Journalisten lohnen, die wenig, oder keine Zeit für die Recherche aufbringen können. Schwierig ist der Kontakt mit allen Menschen, die bereits eine „Weltanschauung“ haben. Da sie bereits alles wissen, müssen sie den Kontakt zu allen verweigern, die dieses festgefügte Wissen erschüttern könnten. Lobbyvertreter erzählen Geschichten. Sie erschaffen für die Öffentlichkeit durch ständige Wiederholung auch widersprüchlicher und falscher Informationen scheinbar sicheres Wissen, das dann nicht mehr überprüft werden muss. Es ist mühselig und nicht ungefährlich auf dieser Diskussionsebene das Feuer „eingängiger Geschichten, von denen jeder schon irgendeinmal etwas gehört hat“ mit dem Gegenfeuer von überprüfbaren Fakten zu bekämpfen. Fakten sind langweiliger als Geschichten. Politiker haben wenig Zeit. Im Kampf um Wählerstimmen sind sie nicht daran interessiert was stimmt und was nicht. Für sie sind Umfragewerte und gewonnene, oder verlorene Wahlkämpfe wichtig. Wenn sie Erfolg haben wollen, dann müssen sie sich dieser Wirklichkeit unterwerfen. Wer von Politikern etwas will, möchte natürlich nur mit erfolgreichen Politikern verhandeln. So gesehen befördern wir alle den Zynismus, den wir anschließend beklagen. Politik soll Gesetze machen, Verwaltung und Justiz haben den Auftrag geltendes Recht durchzusetzen. Wenn die Kontrollbehörden bei dieser Aufgabe versagen, dann hat nicht nur das Opfer (hier das Taxigewerbe) ein Problem. Eine friedliche Gesellschaft muss funktionieren auch wenn nicht hinter jedem Mitglied ein Polizist steht. Diese freiwillige Gesetzestreue zerbröselt aber, wenn die Staatsmacht das Recht nicht mehr durchsetzt. Wenn sichtbar wird, dass keiner sich mehr an die Verordnungen hält und die Staatsmacht die Rechtsbrecher nicht bestrafen will oder kann, dann haben wir alle ein ernstes Problem.
Was können wir tun?
Die Vertreter des Taxigewerbes sprechen mit Politikern und entkräften Lügengeschichten. Journalisten geben wir überprüfbare Fakten und Daten. Wenn aber die Kontrollbehörden nicht bereit sind geltendes Recht durchzusetzen, dann haben wir verloren. Und mit „wir“ meine ich nicht nur das Taxigewerbe. Es besteht die Gefahr, dass die Gesellschaft sich auf eine Art verändert, die wir (hoffentlich) alle nicht wollen. Menschen fliehen vor Korruption, Armut und Gewalt hierher zu uns. Es wäre betrüblich, wenn sie hier bald genau das finden würden, wovor sie geflohen sind.
Ein besonders trauriges Beispiel liefert die Firma „Intelligent Apps“. Sie hat ihr Produkt „myTaxi“ umbenannt in „freeNow“. Dabei handelt es sich um mehr, als nur um eine Namensveränderung. Mit ihrem neuen Produkt macht sie das Gleiche, wie die Firma UBER. Sie erschafft „Zombiefirmen“, die nur mit Hilfe von Gesetzesbruch überleben können. Eine der Begründungen für dieses Tun lautet: „Da die Staatsgewalt die Rechtbrecher nicht vom Markt nimmt, müssen wir uns auf einer preislichen Ebene anpassen, damit wir in der Konkurrenz um preissensitive Kunden überleben können.“Die Bankrotterklärung einer deutschen Firma wird also rechtfertigt mit Versagen deutscher Behörden und dem notwendigen Preiskampf um den geizigen Kunden. Ich bin gespannt, wann mit so einer Argumentation auch Sweetshops in Bangladesch begründet werden.
Ein Strom hat viele Zuflüsse. Hochwasser an einem Oberlauf verursacht noch keine Flutkatastrophe. Wenn also nicht nur die Keller unter Wasser stehen, sondern die Menschen mit Hubschraubern von den Dächern gerettet werden müssen, dann ist vorher einiges schiefgelaufen. Menschen, die Misswirtschaft und Staatsversagen nicht aufhalten können, gehen weg. Taxibetriebe schließen bereits. Wenn das Ergebnis der Veränderung sozial unschön sollte, dann bitte denkt daran: Es ist das Ergebnis von Unfähigkeit und Unwillen, nicht die Folge einer gottgegebenen „Disruption“.
Richard Leipold BTV
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